Über den besonderen Bildungswert spielerisch in die Hand genommener und systematisch im Sinn bewahrter Musikinstrumente
(Beitrag zur Diskussion 'Forum Bildung' vom Juli 2001; unwesentlich gekürzt)

Die 'Stellungnahme zum Forum Bildung'(01) der Leibniz-Sozietät e.V. vom 26.02.2001 enthält weder spezielle Überlegungen und Hinweise zum Bildungswert von Musik, noch zur bildungspolitischen Bedeutung musealer bzw. museologischer Einrichtungen.
Beide Aspekte sind aber wohl unverzichtbar für umfassender zu bedenkende Bildungskonzepte.
Es bleibt zu hoffen, dass sich in den Diskussionen zum 'Forum Bildung' sowohl Musikologen, als auch Museologen eingehender äußern und weitergehend engagieren werden.
Aus Sicht der von mir zu vertretenden Fachrichtung, der 'Vergleichsanalytischen Audioorganologie' (VAO)(02), die sich hier eher als eine spezielle philosophisch-musikwissenschaftliche Fachdisziplin, und dabei nur partiell als 'pädagogisch-bildungstheoretisch' bzw. 'museologisch' ausgerichtet empfindet, kann erstens Einiges zum besonderen Bildungswert von Musikinstrumenten angemerkt werden, sowie zweitens auf die spezielle Problematik eines vergleichsanalytisch konzipierten Musikinstrumenten-Museums hingewiesen werden.
Erstens:
Der Bildungswert von Musik wird in der Regel allgemein befürwortet, - aber in der Realität allgemeiner Schulausbildung kaum wirklich ernst genommen. Das Erlernen eines Musikinstrumentes steht zumeist ganz außerhalb des allgemeinen Schulbetriebes. Zudem wird Musik, insbesondere Instrumentalspiel, allzu leicht als 'Sonderbegabung', etwa wie Sport und/oder Mathematik u.a. gesehen, um dann bestenfalls in den besonderen Blickwinkel einer speziellen, schon früh zu beachtenden Talentförderung zu geraten.
Aber ganz anders als bei anderen, eher schulfach-verbundenen Sonderbegabungen, steht Instrumentalspiel und Beschäftigung mit Musikinstrumenten, dann kaum noch in Beziehung zu anderen Fächern späterer Schul-Unterrichtsgestaltung.
Unterschätzt wird dabei der grundsätzliche Bildungswert von Musik und Musikinstrumenten, denn man kann auch den Standpunkt vertreten, dass es sich hier nicht einfach um das spezielle Bildungsproblem einer jeweils rechtzeitig zu beachtenden Förderung von Spezialbegabungen handelt, sondern dass es vielmehr um die generelle Problematik der Beachtung und Förderung eines besonderen grundsätzlichen und allgemein zu sichernden Bildungswertes geht. Um ein Bildungsgut, welches zum allgemeinen Bildungsfundus einer jeden Persönlichkeitsentwicklung gezählt werden sollte; - zumal gerade die Beschäftigung mit Musikinstrumenten, bzw. das Erlernen eines solchen, stets auch ganz spezifische, unvergleichliche integrative Verflechtungen zu allen anderen schulobligatorischen Ausbildungs- und Bildungswerten möglich macht. In diesem Sinne sollte also auch auf eine frühkindlich beginnende musikinstrumentelle Allgemeinausbildung orientiert werden, in welcher nicht nur rechtzeitig auf die Förderung von als 'musisch besonders begabt' ermittelten Kindern oder für virtuose Hochleistungskarrieren als aussichtsreich geltende Sonderbegabungen, geachtet wird, sondern konzeptionell bedacht ist, dass die Beschäftigung mit Musikinstrumenten sowohl als grundlegender obligatorischer Bestandteil frühkindlicher Erziehung, als auch als weiterleitend unverzichtbares Element späterer Ausbildung und weiterführender Bildungs-Entwicklung zur Geltung kommen sollte. Als stets zu bedenkendes, vernetzt zu gestaltendes und damit integrativ wirkendes Element lebensumspannender, lebensgestaltender und zukunftsorientierter Bildungspolitik. Musikinstrumente sollten generell als wesentliche, ihrer Möglichkeit nach lebenslang wirksame Bildungsobjekte bzw. längerfristig bildungwirksame Mittel einer vielseitig angelegten Persönlichkeitsentwicklung akzeptiert werden. Sie sollten insofern nicht nur als Spezialität besonderer Ausbildungsschienen oder als vorzüglich leistungsspezialisierte Bemühungsobjekte für als 'speziell begabt' ermittelte oder sozial differenziert speziell ausgewählte Kinder gesondert 'heraus’ gehoben werden, sondern vielmehr als allgemein humankonstantes und Humanität immer wieder mit-konstituierendes Moment gebildeter und sich selbst stets in weiterbildender Bewegung erhaltender Persönlichkeits- und Gesellschaftsentwicklung anerkannt, und generell hervorgehoben werden, um in diesem Sinne auch ihre allgemeine Nutzung für Erziehung und Ausbildung entsprechend zu sichern. Dabei könnte im Schulunterricht zunächst auf bestimmte allgemein anwendbare, allgemein verbreitete und allgemein verständliche Musikinstrumente orientiert werden, mittels derer im Weiteren auch ein tieferes Verständnis für den kulturellen Reichtum der Gesamtheit musikinstrumenteller Technik entwickelt werden sollte.
Außer Musikologie können insbesondere Ethnologie und Anthropologie, aber sicherlich auch andere Wissenschaften, verdeutlichen, dass Musikausübung, und dabei eben in besonderer Weise auch Instrumentalmusik, wesentlicher, unverzichtbarer Grundbestandteil der Entwicklung menschlicher Gesellschaft und humaner Kultur war und ist. Daraus sind grundsätzliche Schlußfolgerungen in Hinsicht auf Sinn und Wert von Tun und Lassen innerhalb menschlicher Kulturentwicklung - zumal hinsichtlich einer weitergreifend konzipierten Zukunftsgestaltung - zu ziehen. Der Verzicht auf die Auswertung entsprechender Hinweise und Erkenntnisse für eine zukunftsorientierte Bildungspolitik kommt (nicht nur in kultureller Hinsicht) einer letztlich verheerenden inhaltlichen Verarmung und einem Verzicht bzw. einem Aufgeben bestimmter Zukunftsmöglichkeiten humaner Gesellschaftsentwicklung gleich; - einer tendenziellen Sinnentleerung von Zukunftsgestaltung.
Derartige 'Verarmungstendenzen' sind allerdings in vielfacher Hinsicht Realität, und sicherlich werden sich in diesem Zusammenhang auch einmal bestimmte bildungspolitische Paradigmenwechsel erforderlich machen.
Im Rahmen gegenwärtiger kultur- und bildungspolitischer Realitäten müssen derartigen Verarmungstendenzen entgegenstehende Vorstellungen über den generellen Bildungswert und die besonderen bildungspolitischen Möglichkeiten musikinstrumenteller Ausbildung freilich als sehr weitgehend, vielleicht zunächst auch als gänzlich weltfern, oder auch als unrealistisch-utopisch erscheinen.
Ihre eingehendere Begründung wird sich wohl auch nur aus einem umfassender entwickelten Netzwerk verschiedener Aspekte und aus weiteren diesbezüglichen Forschungen zu entsprechenden Bildungsmöglichkeiten gestalten lassen, wobei hier auch auf bestimmte Arbeiten der Vergleichsanalytischen Organologie verwiesen werden kann.
Zunächst kann dabei auf bestimmte Spezialfälle aus der generellen Geschichte musikinstrumenteller Entwicklungen hingewiesen werden.
So ist in diesem Zusammenhang z.B. bemerkenswert, dass das Monochord, mit dem bereits Pythagoras grundlegende musikantisch-musikalische, naturwissenschaftlich-weltanschauliche Experimente durchführte, das wohl einzige wissenschaftliche Experimentalmodell ist, welches seit der Antike - im wesentlichen gleich geblieben - bis in die Gegenwart unverzichtbares Element von Lehre und Bildung ist; bis heute nicht mehr wegzudenken aus Physik, Mathematik, Musik etc., und Verbindungen sowohl zur Philosophie, als auch zu weiteren 'Spezialwissenschaften' wie Astronomie, Biologie, Psychologie etc. stiftend.
Als ähnlich bedeutungsvoll - wenn auch im Bildungsbetrieb keineswegs in vergleichbarer Weise etabliert - können begründeterweise aber auch solche weltweit verbreiteten traditionellen Musikinstrumente wie das Schwirrholz(03) oder etwa die Maultrommel(04) und andere, angesehen werden. Die eingehendere organologische Erforschung des von der Musikwissenschaft bislang noch viel zu wenig in den Blick genommenen 'Natürlichen Systems der Musikinstrumente'(05) wird hier sicherlich weitere 'Spezialfälle' (bei denen wiederum verschiedene Blasinstrumente und bestimmte Saiteninstrumente besonders zu bedenken sein werden), aber auch bestimmte 'Grundlinien' oder auch so etwas wie 'Grundmuster' bzw. 'Grundmodelle' musikinstrumenteller Evolution, hervorheben können, um dann auch deren Bedeutung für ein besseres Verständnis menschlichen Wirkens in Natur und Technik, in Kunst und Kultur, besser erhellen zu können.
In einer die Bildungsbedeutung von Musikinstrumenten generell in den Blick nehmenden Sicht kann und muß dabei auch folgendes betont werden:
Durch den zunächst spielerischen Kontakt mit Musikinstrumenten kann ein vielseitig weiterreichende Bindungen stiftendes Verhältnis zu einer in besonders verbindlicher Weise humanisierten Technik begründet werden. Das weitere Erlernen eines Musikinstrumentes ermöglicht ein intimes persönliches Verhältnis zu der mit dem Instrument verknüpften 'inhaltsschweren' unvergleichlichen Einheit von Technik, Kunst und Kultur, in welcher die stets aufs Neue sinnstiftende Verbindung von 'Spiel und Ernst', von schwerwiegender, oft schwierig zu bewältigender 'disziplinierter Exaktheit' und 'spielerisch-schöpferischer Leichtigkeit' bei der genußvollen Befriedigung in der Beherrschung des Gerätes und der Erreichung damit angestrebter Spielergebnisse, über die damit verbundene Funktions- und Bewältigungslust hinaus, unfehlbar mit der Teilhabe an der Lust der mittels des Gerätes erzielten ästhetischen Musikwerte verknüpft ist, - welche allerdings im Zusammenspiel all solcher Faktoren keineswegs das einzige oder gar das Endziel der Bemühungen sein kann oder sollte(06). Im Kontakt mit Musikinstrumenten geht der das 'musikinstrumentelle Spiel' spielerisch und ernstlich Erlernende immer wieder eine unvergleichlich verbindliche Beziehung mit dieser besonderen Kulturtechnik und ihren spezifischen Traditionsbezügen ein.
Kein anderes Kultur- und Bildungsmittel impliziert dabei außerdem entsprechend weit vernetzte Entwicklungsanforderungen hinsichtlich sozial relevanter Verhaltenskompetenzen, im Verbund mit künstlerisch-ästhetischer und kultureller Kompetenz. Wer ein Instrument spielt, wird zumeist auch in besonderer Weise nach anderen kooperativen Spielern und Mitspielern Ausschau halten und gleicherweise in deren Blickfeld geraten, aber auch darüber hinaus besondere, anders verinnerlichte Verhältnisse zu anderen Personen und zu seinem sozialen Umfeld entwickeln. Er wird dabei auch stets bestimmte Bezüge zu den durch sein Instrument in besonderer Weise vermittelten Spannungsverhältnissen zu bestimmten kulturellen Traditionen sowie zu anderen davon berührten Menschen entwickeln und fortführend mitgestalten, wobei in all diesen Wechselbeziehungen eben auch die freie Entwicklung jedes einzelnen Spielers, die Bedingung für die Freiheiten kollektiven Zusammenspiels und die weitere freie Entfaltung der Wirkungen traditioneller, aber auch neu zu begründender humanistischer Werte sein wird. Eine lustvoll und anspruchsvoll gepflegte musikinstrumentelle Spielpraxis kann und wird dabei stets auch ein tragendes Element individueller Selbstverwirklichung sein, innerhalb derer sowohl die Notwendigkeit der ständigen Entwicklung sozialer Kompetenzen, als auch ein hohes Maß der Selbstverständlichkeit ständigen genussvoll-anspruchsvollen 'Selbst-Lernens' in Verbindung mit der lebendigen Lust der stetigen Aneignung verschiedenster damit objektiv verbundener, weitergreifender und weiterführender 'Lern- und Bildungs-Stoffe', stets wach gehalten und wirksam gestaltet werden können. Bildungskonzeptionell ernst genommen, ermöglicht musikinstrumentelle Technik - aber auch jedes zunächst einzeln thematisierte Musikinstrument - die vielfältigsten Verbindungen zu verschiedenen weiterleitenden Themen und Problemfeldern aus den verschiedensten Natur- und Geisteswissenschaften, welche auch didaktisch-systematisch zu längerfristigen, viele Ausbildungsjahre umgreifenden bzw. immer wieder inhaltlich damit vernetzten Bildungskomplexen ausgebaut bzw. in solchen verflechtend eingebaut werden können. Insbesondere auch, wenn dabei die jeweils spezielle Geschichte und/oder die jeweils systematische Position eines jeden Musikinstrumentes bzw. sein spezifisches 'Gewordensein' und seine damit verbundene Position im 'Natürlichen System musikinstrumenteller Technik' eingehender betrachtet, und vergleichend zu anderen Musikinstrumenten, aber eben auch zu anderen Technik- und Wissenschaftsentwicklungen, detaillierter analysiert und bildungskonzeptionell inhaltlich problematisiert wird. Mittels speziell ausgewählter Beispiele aus traditioneller musikinstrumenteller Weltkultur können zudem bestimmte grundlegende Werte menschlicher Zivilisations- und Kulturentwicklung näher verdeutlicht und immer wieder zeitbezogen ins gegenwärtige Bewußtsein gerückt werden. Es geht dabei auch um die konkrete Bewahrung von bestimmten traditionellen Bildungs- und Kulturwerten in ihrer jeweils realen Bewährung innerhalb gezielt umgesetzter Bildungskonzeptionen, mittels derer wiederum entsprechend weiterleitendes Handeln im Sinne humanistisch tradierter Zukunftsgestaltung gewährleistet werden kann.
Alle diese Aspekte zur bildungspolitischen Bedeutung musikinstrumenteller Technik implizieren jedoch vielfältigste Widerspruchsbeziehungen zu gegenwärtiger bildungspolitischer Wirklichkeit.
Nicht nur die naheliegende Frage, wer denn all die für eine derartig konzipierte, Musikinstrumente integrierende, Erziehung und Ausbildung erforderlich werdenden Lehrkräfte und Ausbilder 'erziehen und ausbilden' solle, sondern allein schon die Frage 'Welche Ausbildungs-Musikinstrumente denn wohl in welcher Weise für eine solche massenhaft frühkindliche Instrumentalerziehung zur Verfügung gestellt werden könnten?', und wie dann das (hier schließlich unvermeidlich mit 'störend zu empfindender Geräuschverbundenheit' verknüpfte) Verhältnis von Einzelausbildung und kollektivem Zusammenspiel organisatorisch und kostengesichert (z.B. allein hinsichtlich Zeitaufwand, Räumlichkeitsaufwand und Aufwand an qualifiziertem, auch individuell einzusetzendem, 'Lehrpersonal' etc.) zu gestalten und überhaupt zu gewährleisten sei, verweist deutlich auf einen Bereich ‘handfester Unmöglichkeiten’.
Als Gegenbetrachtung kann andererseits aufschlußreich sein, dass moderne Zivilisationen durchaus in der Lage sind, organisatorisch vergleichbare (inhaltlich freilich völlig andersgeartete) Probleme und Verhältnisse effektiv zu lösen und zu gestalten: Militär und Waffenausbildung stehen in bestimmten Bereichen vor durchaus ähnlichen Organisationsproblemen, verfügen aber über eine alte (freilich wesentlich durch Unhumanität geprägte) Tradition entsprechender Lösungen, wobei Militär- und Rüstungspolitik (auch hinsichtlich der speziellen Problematik massenhafter Fertigung und effektiver Bereitstellung individuell handhabbarer militärischer und waffentechnischer Lerngeräte und Waffen) wohl auch hier stets über mehr spezifische materielle Mittel, als etwa Bildungspolitik verfügen konnte. Diese Seite politischer Realität zeigt zwar abstrakt, dass es entsprechende Verwirklichungsmöglichkeiten auch im Sinne humanistischer Bildungspolitik geben könnte, konkret betrachtet hingegen vielmehr, dass diese im Kontext derartiger politischer Verhältnisse gegenwärtig um so unrealistischer anmuten müssen, zumal sich gerade Rüstungs- bzw. Militärpolitik und Bildungspolitik hierbei nicht nur aus Gründen mittelverwaltender Ökonomie immer wieder gegenseitig ins Gehege kommen können.
Derartige, durch offensichtliche Gegensätzlichkeiten und vielfältige Disproportionen geprägte Verhältnisse, sind sicher nur längerfristig überwindbar, - ein kritisch-konzeptionelles Nachdenken darüber ist aber nicht einfach aufschiebbar. Insofern sollten bildungspolitisch-strategische Überlegungen auch jetzt schon die Notwendigkeit bestimmter Paradigmenwechsel ins Auge fassen, denn verantwortungsbewußtes Nachdenken über zukunftsorientierte Bildungspolitik muß auch über zukünftig mögliche Bildungsmodelle reflektieren können, und dabei wiederum die Kraft entwickeln, von solchen Modellen und entsprechenden Überlegungen und Forschungen her, auch deren mögliche Fruchtbarkeit, sozusagen deren 'humanistisch positive Virulenz', innerhalb gegenwärtiger Verhältnisse zu erwägen und ins kulturpolitische Kräftespiel zu bringen. Die Unmöglichkeit der Realisierung unter gegenwärtigen Verhältnissen belegt nicht die Unmöglichkeit des Nachdenkens über besser qualifizierte Zukunftsmöglichkeiten - wenn auch entsprechende Verhältnisse sowohl freie Zukunftsmöglichkeiten, als auch freies Nachdenken und Forschen darüber immer wieder maßgeblich einschränken und behindern können. Es sollten also trotz alledem sowohl bestimmte Aspekte des zunächst als Unmöglichkeit Denunzierten eingehender erwogen werden, als auch entsprechend zukünftig vorstellbare Bildungsmodelle als Alternativen zu gegenwärtigen realpolitischen Beschränktheiten entwickelt werden. Zukunftsverantwortung schließt die Verantwortung zum Nachdenken über zukünftig Mögliches ein, und dieses wiederum die Verpflichtung des dann genaueren Nachdenkens und Forschens darüber, welche Aspekte dabei auch unmittelbar für Gegenwärtiges nutzbar und fruchtbar sein können - und hier wird zweifellos auch wieder grundsätzlich und weiterführend über musikinstrumentelle Technik nachzudenken sein.
Vergleichsanalytische Organologie ist dabei natürlich in unvermeidlicher Weise betroffen und zielt auch hier auf bestimmte Paradigmenwechsel ab, die allerdings jeweils ganz unterschiedlich gelagert und verschiedenartig strukturiert sein können.
So wäre die Sinnhaftigkeit bildungskonzeptioneller Scheidungen, etwa im Sinne von 'humanistisch-musisch' und 'naturwissenschaftlich-technisch' orientierten Bildungswegen, eingehender in Frage zu stellen, - aber auch deren Wechselseitigkeiten unter dem Gesichtswinkel entsprechender bildungskonzeptioneller Nutzungen musikinstrumenteller Technik zu überdenken.
Zudem sollten sich im Zusammenhang mit einer neuen Rolle von Musikinstrumenten in Bildungskonzepten und allgemeiner Bildungspolitik auch inhaltlich orientierte Veränderungen hinsichtlich des gegenwärtig herrschenden Verhältnisses von professionalisiert-kommerzialisierten und nicht-professionalisierten Kulturaktivitäten im Musikbereich durchsetzen können.
Im vorstehenden Zusammenhang wäre jedoch nun insbesondere auch an die Problematik speziell zu entwickelnder 'Ausbildungsinstrumente' für Kinder zu denken. Erforderlich ist dabei eine andere, besser durchdachte Kultur von 'Kinderinstrumenten', sowie die prinzipielle Überwindung gegenwärtig noch vorherrschender fataler Vorurteile über den Qualitäts-Status von sogenannten 'Schülerinstrumenten'. Es geht dabei um die wohlüberlegte Entwicklung spezifisch geeigneter 'Lern-Spiel-Instrumente', die allerdings keinesfalls nur für eine Nutzung innerhalb von 'Lernverhältnissen' angelegt sein sollten, sondern der bildungskonzeptionell multivalenten Dialektik von 'Freizeit, Spielzeit, Lernzeit, Schulzeit etc.' (durchaus in Beziehung und in besonderer Analogie zur Problematik des tiefergreifenden sozial-strukturierenden Verhältnisses von 'Arbeitszeit und Freizeit') angemessen sein sollten, und dabei auch einen anderen Status erhalten und bewahren müßten, als vielfach übliches, oft direkt zum Verschleiß anstehendes 'Verbrauchs-Spielzeug'. Hier wäre eine entsprechend wohlkonzipierte industrielle Massenproduktion von bestimmten Musikinstrumenten zu entwickeln, welche sowohl die erforderliche Preiswertigkeit, als auch höchstes Qualitäts-Niveau ihrer Produkte absichern kann, und diese Produkte in einer weiteren Perspektive möglichst auch - vergleichbar etwa der Produktion von Kleidung - in individualisierten bzw. bestimmten persönlich anpaßbaren Gestaltungen herzustellen vermag. Zu warnen wäre andererseits vor fehlkonzipierter Fortschrittsbesessenheit in Richtung vorrangig elektronischer Musikinstrumentenproduktionen (dabei wiederum vor der musikinstrumentell-verarmenden Favorisierung entsprechender Keyboard-Instrumente), die allzu leicht auch mit einer mißachtenden Unterschätzung des Wertes der besonderen Vielfalt des traditionellen bzw. des natürlich-akustischen Musikinstrumentariums einher geht. Damit sind auch Fragen zum generellen gesellschaftspolitischen Stellenwert der Produktion und Distribution von Musikinstrumenten überhaupt berührt, wobei sogleich auch die Problematik der Konversion bisheriger Rüstungsindustrien eingehender zu bedenken ist. Eine mittels moderner Industrieproduktion qualitativ höher entwickelte und dort fest integrierte Herstellung von sogenannten 'traditionellen', insbesondere aber von natürlich-akustischen Musikinstrumenten, würde zunächst bestimmte Veränderungen hinsichtlich bislang üblicher Auffassungen zum Verhältnis von 'Tradition und Innovation'(07) bei musikinstrumenteller Technik voraussetzen, im Weiteren aber auch ganz neue Sichtweisen zu dieser Problematik nach sich ziehen können. Musikinstrumente als 'in besonderer Weise humanisierte Kulturtechnik' und in besonderer Weise 'kulturwirksame Spiel-Werkzeuge', wären mit dieser Spezifik dann, innerhalb derartiger Produktionsbeziehungen, eigentlich auch geradezu dafür prädestiniert, nun auch eher eine bestimmte heuristisch wirksame Rolle im Sinne einer gewissen 'anregenden Vorbildfunktion' für eine kulturvoll-rationelle, gebrauchswert-orientierte Entwicklung und Gestaltung bei der Herstellung auch anderer technischer Industrie-Produkte 'zu spielen', und so auch die vielfältigen Wechselseitigkeiten von Industrietechnologie und Kulturtechnik in neuer Weise zu beeinflussen bzw. auch weiterführend dazu beizutragen, diese mit marktmechanismenüberschreitenden Sinngehalten anzureichern.
Zweitens
Museen sind Bildungseinrichtungen, ohne im eigentlichen Sinne Lehreinrichtungen zu sein; sie verantworten als öffentliche wissenschaftliche Einrichtungen andere spezifische Bildungswirkungen als etwa Schulen, Fachschulen oder Universitäten, und sie verfügen dabei über ganz andere Methoden und Bildungsangebote als die letztgenannten. Umfassend und zukunftsbedenkend angelegte Bildungskonzeptionen müssen insofern auch die besonderen Wirkmöglichkeiten von Museen berücksichtigen, zumal im Zusammenhang mit der gerade in Deutschland in besonderer Weise entwickelten und schon seit längerem auch fest institutionalisierten sogenannten 'Museums-Pädagogik' dazu auch spezielle theoretische Arbeit geleistet wurde.
Im hier behandelten Zusammenhang sind zudem wiederum musikinstrumentelle Museumseinrichtungen besonders zu bedenken.
Aus Sicht der Vergleichsanalytischen Organologie bilden diese allerdings ein besonderes Problemfeld: Ganz zweifellos gibt es weltweit eine Vielzahl von Musikinstrumentenmuseen, darunter auch eine Reihe von wissenschaftlich hoch bedeutenden und international renommierten Einrichtungen, und ganz zweifellos waren gerade Musikinstrumentensammlungen an der Entstehung und auch an der weiteren Entwicklung allgemeiner Museums-Kultur in besonderer und durchaus wesentlicher Weise beteiligt. Die moderne Museologie hat aber, obwohl sie erklärterweise als philosophische Wissenschaft agiert, die ihren Gegenstand auch in der Erforschung des 'Wesens von Musealität' sieht, die wesentliche Bedeutung und die inhaltlichen Besonderheiten entsprechender musikinstrumenteller Museumseinrichtungen bislang noch viel zuwenig wahrgenommen und theoretisch offenbar ungenügend verarbeitet bzw. kaum verallgemeinert. Gegenwärtig in allgemeinem Gebrauch befindliche Handbücher der modernen Museologie(08) weisen z.B. weder entsprechende Begriffe bzw. Stichworte auf, noch widmen sie sich inhaltlich dieser speziellen Thematik.
Die damit verbundenen bildungskonzeptionellen Problemstellungen müssen hier, nach den Ausführungen zum besonderen Bildungswert musikinstrumenteller Technik, nicht mehr gesondert betont werden.
Hingewiesen sei jedoch auf ein speziell systematisch-vergleichsanalytisch konzipiertes Musikinstrumenten-Museums-Projekt, welches seit Jahren verschiedenen Städten und Kulturinstitutionen im Lande Brandenburg als konkretes Angebot (inklusive einer dafür vorhandenen reichhaltigen Musikinstrumentensammlung) vorgelegt wurde(09). Im Unterschied zu den im ersten Abschnitt dargestellten Problembereichen, die wohl nur sukzessive und letztlich nur in komplexer, umwälzender Weise zu verändern sein werden, stünde der Einrichtung und Entwicklung eines entsprechenden 'Vergleichsanalytischen Musikinstrumentenmuseums' aber eigentlich auch unter den jetzigen politischen Verhältnissen nichts Grundsätzliches im Wege; - hier wirken eher subjektiv regionalbornierte Beschränktheiten kulturpolitischer Funktionsetabliertheit verhindernd. Eine solche Museumseinrichtung wäre (von welchem besonderen Instrument oder welchem Instrumentenbereich man dabei auch thematisch ausgehen möge) unmittelbar als attraktives Museum und effektive Bildungseinrichtung, aber auch als eine sich perspektivisch finanziell selbst tragende Kultur-Institution, durchaus denkbar und realisierbar. In Hinsicht auf die im ersten Abschnitt umrissenen Bildungsaspekte berührt dieses spezielle Museumskonzept im Grunde genommen alle dort wesentlichen Punkte und rührt, mehr oder weniger vermittelt, auch an allen dort skizzierten möglichen Paradigmenwechseln.
Der museologisch-konzeptionelle Kern eines derartigen Projektes, welches de facto als ein Bindeglied zwischen naturkundlich-biologischen, kunsthistorisch-kulturgeschichtlichen und technikgeschichtlichen Museen existieren würde, besteht im Wesentlichen darin, dass eine entsprechende Einrichtung im Sinne einer systematischen, museal-lebendigen Darstellung und Vermittlung der Problematik des 'Natürlichen Systems der Musikinstrumente' wirken würde, dabei aber stets auch als ein Ort des unmittelbar konkret erprobenden Kennenlernens von bestimmten Musikinstrumenten zur Verfügung stehen soll; wobei in einer solchen Museumseinrichtung, außer der Bewahrung wertvoller authentischer Musealien und attraktiver Exposita, mit denen Geschichte und Vergangenheit belegt werden, auch deutlich Gegenwärtiges und Zukünftiges thematisiert werden sollte.
Dabei wird hier grundsätzlich der Standpunkt vertreten, dass Museen keineswegs ausschließlich 'bewahrend und vergangenheitsinformierend' zu denken sind, sondern in der Konzeption ihrer möglichen Bildungswirkungen auch von ihnen ausgehende zukunftsweisende und zukunftseröffnende bzw. auch 'zukunftsgemahnende' Bildungsmomente zu bedenken sind.
Die Konzeption für ein 'Vergleichsanalytisches Musikinstrumentenmuseum' greift in diesem Sinne weit aus, und enthält - durchaus in signifikantem Unterschied zu üblichen traditionelleren Museumskonzepten - eine Reihe weiterer museal-möglicher Aktivitätsmomente, welche beispielsweise auf die breit angelegte Förderung des aktiven Instrumental-Spiels, die Förderung individueller Selbstherstellung bestimmter historisch-traditioneller (sowie anderer natürlich-akustischer Musikinstrumente), aber auch auf die unmittelbar museal-integrierte Produktion bestimmter weiterentwickelter und modern konzipierter traditioneller Musikinstrumente abzielen. Aktivitäten, die zudem im Sinne der ökonomischen Sicherung einer so konzipierten Museumseinrichtung dienlich sein können.
Mit all dem würde dann aber auch wieder ein konfliktreiches, durchaus an bestimmten museologischen Paradigmen rührendes, sowie auch bildungskonzeptionell zu bedenkendes Spannungsverhältnis in bezug auf Bewahrung und Auswertung von Tradition, Modernität und Zukunftsorientiertheit beim 'museumsgerechten' Umgang mit bestimmten Kultur- und Bildungswerten entstehen.

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Anmerkungen/Quellen:
(01)
'Stellungname zum Forum Bildung' der Leibniz-Sozietät e.V. vom 26.02.2001,
in: http://www.leibniz-sozietaet.de/bildung/beitraege.htm
(02
Eichler, Bernd H.J.: Ausgewählte Thesen und Anmerkungen zur Vergleichsanalytischen Musikinstrumentenforschung (VAO)
(03)
Eichler, Bernd H.J.: Mutwillige Betrachtungen zum Schwirrholz
Eichler, Bernd H.J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil I),
in: Bröcker, Marianne (Hrsg.): Berichte aus dem ICTM Nationalkomitee Deutschland, 1993
Eichler, Bernd H.J.: Das Schwirrholz - Tongenerator zwischen Natur und Geist (Teil II)
(04)
Eichler, Bernd H.J.: Über die Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeiten bei Maultrommeln,
in: Bröcker, Marianne (Hrsg.): Berichte aus dem ICTM Nationalkomitee Deutschland, 1995
Eichler, Bernd H.J.: Die Maultrommel als Gegenstand des Musikunterrichts - Systematisches Musikinstrumentenverständnis und 'fremde Musik'
(05)
Eichler, Bernd H.J.: Versuchungen zur Systematisierung natürlich-akustischer Musikinstrumente aus Sicht und Situation der Vergleichsanalytischen Organologie
Eichler, Bernd H.J.: Über mögliche Konsequenzen zur Systematisierung von Musikinstrumenten angesichts eines inkonsequent gebrauchten Begriffs der 'Systematik der Musikinstrumente'
Eichler, Bernd H.J.: Zur systematischen Position der sogenannten 'durchschlagenden Zunge'
(06)
Eichler, Bernd H.J.: Fragwürdiges und Bedenkenswertes zu Eigenart und Wesen von Musikinstrumenten
(07)
Eichler, Bernd H.J.: Einige grundsätzliche Aspekte zum besseren Verständnis von Musikinstrumenten im Lichte der Arbeiten des Verhaltensphysiologen Erich von Holst
(08)
Waidacher, F.: Handbuch der Allgemeinen Museologie, Wien 1999
Herbst, W. / Levykin, K.: Museologie, Berlin 1988
(09)
Eichler, Bernd H.J.: Konzeption für ein 'Vergleichsanalytisches Maultrommelmuseum' der Musikinstrumentensammlung Dr.B.H.J.Eichler

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